Interview in der Aargauer Zeitung
© Aargauer Zeitung/ MLZ, 21.10.2008, Seite 29
«Ich bin nur ein wenig psycho»
Pop P!nk ist reifer geworden und längst ein Superstar, doch auch im Gespräch zu ihrem neuen Album «Funhouse» nimmt sie kein Blatt vor den Mund.
Reinhold Hönle
Ihre letzte Single «Dear Mr. President» richtete sich an George W. Bush. Was denken Sie über die beiden US-Präsidentschaftskandidaten?
P!nk: Ich bin voller Hoffnung. Es ist höchste Zeit, dass wir uns aufraffen und einige Dinge auf die Reihe kriegen. Nicht nur in Amerika, sondern auf der ganzen Welt.
Haben Sie keinen Favoriten?
P!nk: Ich war und ich bin eine grosse Anhängerin von Hillary Clinton. Deswegen werde ich nun für Barack Obama stimmen.
Was halten Sie von der einzigen Frau, die noch im Rennen ist › Sarah Palin?
P!nk: Ich kenne sie nicht persönlich. Aber ich mag ihre politischen Ansichten nicht. Wer sich für die Rechte von Tieren, der Homosexuellen, Frauen oder sonst welche Rechte einsetzt, kann sie nicht wählen.
Sie meint, Homosexualität sei eine Entscheidung.
P!nk: Sie schiesst auch aus Helikoptern auf Wölfe! Würden Sie so einer Person folgen wollen? Ich bestimmt nicht!
Haben Sie überlegt, wieder einen Kommentar in Song-Form zu schreiben?
P!nk: Nein. Das habe ich bewusst nicht gemacht. Ich wollte mich nicht dazu verpflichtet fühlen und mich nicht schubladisieren lassen. Die Leute sollen nicht sagen: «Oh, sieh an, hier kommt Pink mit einem weiteren politischen Song.» Auch «Dear Mr. President» war nicht geplant. Es war einfach ein Lied, das geschrieben werden musste.
Lassen Sie sich bei solchen Entscheidungen von Ihren Gefühlen leiten?
P!nk: Ich wurde im Sternzeichen Jungfrau geboren. Entsprechend analysiere und überanalysiere ich alles. Wenn es jedoch um die wirklich wichtigen Dinge geht, vertraue ich meinem Bauchgefühl. Beim Songschreiben folge ich meinem Instinkt.
Haben Sie auch schon falsch entschieden?
P!nk: Oh, ich trete andauernd ins Fettnäpfchen. Ich mache aber unbeirrt weiter . . . (lacht)
Warum hilft es in einer persönlichen Krise, «immer noch ein Rockstar» zu sein › wie Sie in der aktuellen Single «So What» singen?
P!nk: Oh, das verleiht mir eine gewisse Furchtlosigkeit. Es hilft manchmal, eine «Fuck you»-Haltung zu haben, und mein Vater lehrte mich schon, als ich noch klein war: «Stell sicher, dass du ein ‹Fuck you›-Konto hast! Wenn du Geld auf der Seite hast, kann dir niemand sagen, was du zu tun hast.»
Was wäre, wenn Sie Ihren Schmerz und Ihre Wut über die Trennung von Ihrem Ehemann nicht in die Songs der neuen CD hätten legen können?
P!nk: Ich glaube nicht, dass ich dann hier wäre. Musik ist › egal ob das klischeehaft oder doof klingt › meine Rettung. Als ich 13 Jahre alt war, fand ich meinen Schmerz in den Liedern von Linda Perry und Janis Joplin wieder. Heute muss ich Songs schreiben, um zu überleben. Es ist meine Therapie. Die Tränen heilen, wenn ich mich dabei durch meinen Dreck arbeite.
Wie entstehen daraus Lieder?
P!nk: Ich bin keine Poetin, ich schreibe einfach. Ich beschreibe einfach, was in mir gerade los ist. «Family Portrait» war ein Gedicht, dass ich mit 9 Jahren zu schreiben begonnen habe, am Tag, als mein Vater uns verliess. 2002 wurde es als Song veröffentlicht.
Stimmt es, dass Sie den Albumtitel von «Heartbreak Is a Motherfucker» in «Funhouse» geändert haben?
P!nk: (lacht) Eigentlich habe ich nur Spass gemacht, aber ich vergesse oft, dass nicht alle Leute meinen Sarkasmus verstehen. Es ist kein Trennungsalbum. Natürlich hat es Verletzlichkeit, Einsamkeit und Schmerz auf der CD, aber das ist nur eine Seite meines Lebens. Es besteht ebenso aus Party, Philosophieren und anderen Dingen. «Funhouse» liegt also näher. Ich sehe die Liebe wie eine Achterbahn: Ich habe ein Ticket gekauft und würde am liebsten wieder aussteigen. Trotzdem werde ich zurückkommen und wieder einsteigen.
Wie kamen Sie darauf, Ihren Ex-Mann im Video zu «So What» auftreten zu lassen?
P!nk: Als ich das Lied geschrieben habe. Ich fand es nur fair. Er sollte sich selbst repräsentieren können. Wir sind wirklich gute Freunde. Die Zeile «I guess I just lost my husband, I don’t know where he went» war nur ein Scherz. Das Lied ist eben bittersüss, traurig und witzig zugleich. Und das versteht Carey. Deswegen ist er im Video.
Wie erlebten Sie Ihre Zusammenarbeit mit Duffy-Produzent Eg White?
P!nk: Er ist unglaublich und ich liebe ihn! Ich bin nach London geflogen, in seinen Keller hinabgestiegen, habe Zigaretten geraucht und ihm immer den letzten Zug überlassen. Ich nahm den Gesang mitten im Raum auf › ohne Kopfhörer, dafür mit Eg, der vor mir sass und mich anstarrte. Während ich sang, schrie er während der Aufnahme plötzlich: «Stopp!», und als ich ihn fragte, was sei, meinte er nur, ob ich nicht diesen Song von den Pointer Sisters kenne . . .
Ist er also noch exzentrischer als Sie?
P!nk: Oh, ja. Ich bin eigentlich normal. Nur ein klein wenig psycho!
Momentan gibts in Europa heisse Diskussionen über Rauchen in öffentlichen Räumen. In den USA ist es verboten. Wie lebt es sich dort als Raucherin?
P!nk: Ich mag Orte, die wie ein Aschenbecher riechen, auch nicht. Ich rauche trotzdem überall. Ich habe ein Problem mit Verboten. Ich verstehe nicht, wie sich der Staat so besserwisserisch aufspielen kann. Seit ich Howard Zinns «A People’s History of the United States» gelesen habe, wie Kolumbus die Ureinwohner Amerikas vergewaltigt und ihre Dörfer geplündert hat, frage ich mich, weshalb wir den «Columbus Day» feiern.
Was bedeuten Ihnen Ihre Tätowierungen?
P!nk: Ich habe sehr viele. Einige sind ziemlich heftig. (Sie zeigt sie.) Hier habe ich einen «Hilfe»-Knopf, der aber nicht funktioniert. «Was man gibt, kommt wieder zurück» ist eines meiner Lieblingstattoos. Und das ist ein Gedenktattoo an meinen verstorbenen Hund Elvis: «Eine Zeit zu weinen, eine Zeit zu lachen, eine Zeit zu trauern, eine Zeit zu tanzen. Schlafe in Frieden, mein Schatz, ich lasse dich gehen.»
Wie das wohl aussehen wird, wenn Sie älter werden . . .
P!nk: Es wird wohl ein grosser Tintenfleck sein! (lacht) Dann trage ich eben Langarmshirts.
P!nk Funhouse. Sony BMG. Ab 24. 10.